Das degewo-Zukunftshaus
Wie lassen sich alte Gebäude mit den aktuell verfügbaren technischen Mitteln bereits heute so umbauen, dass sie dem hohen Anspruch, 2050 keine Treibhausgas-Emissionen auszustoßen, gerecht werden? Wir haben es im Reallabor ausprobiert.
Ein achtstöckiges Haus aus dem Baujahr 1954 mit 64 Ein- bis Vierraumwohnungen in der Havensteinstraße in Berlin- Lankwitz: Objekte dieser Art haben wir als eines der großen kommunalen Wohnungsunternehmen Berlins – zu Dutzenden in unserem Bestand. Doch das Gebäude in der
Havensteinstraße ist etwas Besonderes: Innerhalb von 16 Monaten haben wir eine komplexe Sanierung vorgenommen, die über das übliche Maß weit hinausgeht. Fast alles hat sich in dieser Zeit verändert. Es entstand das „Zukunftshaus“.
Die Idee hinter dem Zukunftshaus
Seinen Ursprung hat das Projekt in einer Strategie-Klausurtagung der degewo-Führungskräfte. Das Ziel war, ein Modell zu schaffen für das Energie-Szenario 2050 – mit einem CO2-neutralen Berlin. Damit war klar, man muss weit über die üblichen energetischen Sanierungen hinausgehen. Sonst wird die Fassade gedämmt, werden Fenster getauscht und die Stränge saniert. Für das Klimaziel reichen diese Sanierungen nicht mehr aus. In einer CO2-neutralen Stadt brauchen wir Häuser, die sich weitgehend selber mit Wärme und Strom versorgen. Das degewo-Zukunftshaus schafft dieses Ziel mit heute verfügbarer Technik – zu moderaten Warmmieten zwischen zehn und elf Euro je Quadratmeter Wohnfläche.
Für den Modellversuch haben wir im Vorfeld eine Reihe von Idealbedingungen formuliert. Es sollte ein Haus sein, das noch keine umfangreiche energetische Sanierung hinter sich hatte. Ein freier Giebel in Richtung Süden sollte Platz für Solarpaneele bieten, um die geplante Photovoltaik-Anlage auf dem Dach zu ergänzen. Außerdem wurde in unmittelbarer Nähe eine große freie Fläche für einen unterirdischen Wärmespeicher benötigt. Unter den wenigen Gebäuden, die alle Kriterien für ein solches Reallabor mehr oder weniger erfüllten, fiel die Entscheidung am Ende für das Haus in Lankwitz.
„Innovative Technik, stabile Warmmieten und faires Wohnen gehören für uns zusammen“.
Das Ausmaß der geplanten Sanierung machte es notwendig, dass die Mieter ihre Wohnungen verließen. Auf einer Infoveranstaltung im Juni 2014 wurde ihnen das Projekt vorgestellt, Einzelgespräche folgten. Am Ende nahmen fast alle das Angebot zu einem Umzug in eine andere degewo-Wohnung an. Die letzten Mieter verließen das Haus im Januar 2016, und die Arbeiten konnten beginnen.
Zeitstrahl von der Idee bis zur Umsetzung:
Zielmarke für die Sanierung waren die Standards eines Niedrigenergiehauses. Das Gebäude sollte sich weitgehend selbst mit Wärme und Hausstrom versorgen und obendrein einen Teil des Mieterstroms selbst produzieren. Das Projekt, das von einem Team der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) unter Prof. Friedrich Sick wissenschaftlich begleitet wurde, ließ auch Raum für Experimente mit innovativen, bisher kaum in der Praxis erprobten Technologien. Es ging nicht nur um den Umbau dieses einen Hauses, sondern vor allem um die Frage: Welche Erfahrungen und Erkenntnisse für eine zukunftsträchtige und nachhaltige Sanierung anderer Gebäude aus dem degewo-Altbestand ließen sich gewinnen?
Gebäudehülle massiv ertüchtigt
An hochgedämmten Gebäudehüllen wird künftig kein Weg mehr vorbeiführen. Die Frage ist immer nur, wo die Grenzen liegen und wo mehr Dämmung nichts mehr bringt. Der Umbau zu einem „Zukunftshaus“ umfasste zunächst einmal alle Maßnahmen, die bei degewo zu einer Standardsanierung gehören: Strangsanierung, teilweise Grundrissänderungen, neue Fliesen, neue Badinstallationen, neue Fenster. Die Fassadendämmung wurde „aufgedoppelt“, der bestehenden Dämmschicht von 8 cm Dicke wurde eine zweite, 20 cm dicke Schicht hinzugefügt. Die alten Balkone wurden abgesägt und durch neue ersetzt, da die alten Aufhängungen als Wärmebrücke fungiert und die Wirkung der Dämmung herabgesetzt hätten.
Modernste Technik klug kombiniert
Interessant wird das Zukunftshaus erst durch die Haustechnik. Diese besteht aus dem Mix verschiedener Komponenten, die alle dazu beitragen das Ziel der weitgehenden Selbstversorgung zu erreichen: Auf dem Dach und teilweise an der Fassade wurde ein Mix aus reiner PV-Anlage und hybrider PV-Solarthermieanlage installiert, so dass gleichzeitig Photovoltaikstrom erzeugt und solare Wärme gewonnen wird. Den Hauptanteil an der Wärmeversorgung übernimmt eine Wärmepumpenanlage, und zur Sicherheit ist auch ein Fernwärmeanschluss noch gegeben. Außerdem verfügt jede Wohnung über eine zentrale kontrollierte Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung.
Unterirdischer E-Tank
Außerdem wurde direkt neben dem Gebäude ein Erdtank angelegt. Auf 636 m2 – zum Vergleich: Das Haus selbst hat eine Grundfläche von rund 470 m2 – wurde dazu in rund 1,5m Tiefe ein System von Rohrleitungen verlegt. Überschüssiges warmes Wasser wird dort hindurchgepumpt und heizt das Erdreich auf. Wird dann in der kühlen Jahreszeit kaltes Wasser durch die Rohre geleitet, kommt es vorgewärmt zurück, und ein Teil der im Sommer eingespeisten Wärmeenergie gelangt in den Energiekreislauf zurück. Das funktioniert zumindest theoretisch fast die gesamte Heizperiode lang, da sich der Boden im Herbst und Winter mit zunehmender Tiefe deutlich langsamer abkühlt als die Atmosphäre und schon in knapp 1m Tiefe frostfrei bleibt.
Innovative Technologien
Neu eingebaut wurde ein innovatives Belüftungssystem mit Wärmerückgewinnung. Besonders aufwändig war der Umbau der Heizungen. Die alten Radiatoren wurden komplett entfernt, und an ihre Stelle trat – erstmals im Wohnungsbestand der degewo – eine Deckenheizung aus dünnen Kunststoffleitungen hinter einer Rigips-Verkleidung. Während Radiatoren üblicherweise Wasser mit einer Temperatur von bis zu 90 °C benötigen, kommt diese Heizungsart mit 30 °C bis 35 °C Grad aus, um eine Wohlfühlumgebung zu erzeugen. Das Niedertemperaturkonzept hat zwar den Nachteil, dass die Heizung auf manuelle Regelung vergleichsweise träge reagiert. Dass sich mit dieser Technologie viel Heizenergie einsparen lässt, liegt jedoch auf der Hand.
Strombetriebene Wärmepumpen
Vor den Umbauten hatte eine mit Erdgas befeuerte Anlage in einem anderen degewo-Gebäude das warme Wasser für Heizung und Trinkwasserversorgung geliefert. Im „Zukunftshaus“ übernimmt nun die strombetriebene Wärmepumpenanlage die Beheizung und Warmwasserbereitung. Die Energie dafür sollte aus Solarzellen auf dem Dach und an der Giebelfront kommen. Ebenfalls vorgesehen war eine bewährte Solarthermie-Anlage auf dem Dach, in der die Kraft der Sonne Wasser aufheizen sollte. An ihrer Stelle wurden jedoch kurzfristig PVT-Kollektoren installiert. Diese vielversprechende Hybrid-Technologie, die Photovoltaik und Solarthermie vereint, sollte gleichzeitig sowohl Strom als auch Warmwasser bereitstellen, so die neue Planung.
Grüner Strom aus Photovoltaik
Ein Erfolg war zweifellos der Einsatz der Photovoltaik-Module. 30 % seines gesamten Strombedarfes kann das „Zukunftshaus“ heute selbst erzeugen. 60 %der Strommenge werden unmittelbar genutzt, um den Eigenverbrauch zu decken, während der Rest ins Netz eingespeist wird. Derzeit nutzen etwa 70 % der Mietparteien das Angebot der degewo und beziehen vor Ort erzeugten Strom – ein Beweis auch dafür, dass sich die Mieter mit dem Konzept des „Zukunftshauses“ identifizieren.
Die Energiebilanz
Schon heute nahezu klimaneutral
Im Großen und Ganzen war das Vorhaben ein Erfolg – auch wenn nicht alle erwünschten Effekte eintrafen. So wird für den Betrieb des gesamten Gebäudes (den Mieterstrom inbegriffen) nach der Sanierung rund 70 % weniger Endenergie benötigt: Pro m2 Wohnfläche sank der Verbrauch witterungsbereinigt von 229 auf heute nur noch 64 kWh im Jahr. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass das „Zukunftshaus“ einen Teil seiner Energie selbst erzeugt. Bezieht man in die Bilanz den Strom mit ein, der für andere Nutzer ins Netz eingespeist wird, kommt das Gebäude heute sogar mit 41 kWh/m2/a aus; es bezieht also nur noch 18 % der Energie von außen wie früher. Ein solcher Effekt wäre bei einer herkömmlichen Sanierung auf keinen Fall zu erreichen gewesen. Ganz abgesehen von den energetischen Kennwerten ist der Wohnkomfort extrem hoch.
Abschlussbericht
Die mehrjährige Auswertung der warmen Betriebskosten nach Sanierung bestätigt eine durchschnittliche Einsparung von 0,56 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche.